Nachdem das Landesprogramm „Bürgerforum Energieland Hessen“ aktuelle Fragen rund um die Windenergie in bislang fünf Faktenchecks klären konnte, standen nun die Potenziale der Wasserkraft im Mittelpunkt des landesweiten Expertenaustauschs. Rund 100 Teilnehmende aus Landes- und Regionalverwaltung, Wasserkraftbetreibern sowie aus Fischerei- und Umweltverbänden diskutierten einen Tag lang zur Zukunft der Wasserkraftnutzung in Hessen.
Der Faktencheck Wasserkraft war in drei Themenblöcke unterteilt: Potenziale der Wasserkraftnutzung, arten- und naturschutzfachliche Aspekte sowie neue technologische Entwicklungen. Die Expertinnen und Experten bewerteten im intensiven Austausch mit dem Fachpublikum die aktuelle Faktenlage und klärten die Fragen und Anmerkungen der Anwesenden sowie der vorab aufgeschalteten Internetplattform auf www.energieland.hessen.de.
Nach der Begrüßung durch Christian Grunwald, Bürgermeister der Stadt Rotenburg a. d. Fulda, leitete Werner Müller (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung) das Podium zu den Potenzialen der Wasserkraft in Hessen ein. Er beschrieb zunächst die energiepolitischen Ziele der Energiewende in Hessen. Deutlich wurde, dass die Potentiale der Wasserkraft in Hessen aufgrund der Topografie nur etwa 1,5 % des Strombedarfs abdecken können. Günter Steinhagen (Arbeitsgemeinschaft Hessischer Wasserkraftwerke e.V.) nannte die hohen Umweltauflagen, den Investitionsstau sowie Probleme bei der Generationenübergabe als zentrale Herausforderungen insbesondere für die kleinen und mittleren Wasserkraftwerke. Prof. Dr. Stephan Theobald unterstrich als einer der führenden internationalen Wasserbauexperten (Universität Kassel), dass sich der jährliche Energieertrag durch Wasserkraft in Hessen um knapp ein Viertel steigern ließe. Hierzu müsste die Modernisierung der Kraftwerke und die Nutzung bestehender Wehre konsequent umgesetzt werden. Alle Experten waren sich einig, dass hierbei die Vorgaben des Arten- und Naturschutzes zu berücksichtigen sind.
Im zweiten Themenblock stellten Dr. Ralf Köhler (Bundesarbeitskreis Wasser des BUND) und Winfried Klein (Verband Hessischer Fischer e.V.) die Auswirkungen der Wasserkraft aus Sicht des Natur- bzw. Tierschutzes dar. Angemahnt wurde, dass ein Großteil der Anlagen in Hessen noch nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche. Dabei wurden insbesondere die oft fehlenden Möglichkeiten zum Fischaufstieg sowie zum Fischabstieg genannt. Die Gewässerdurchgängigkeit müsse erhöht werden. Deutlich wurden die Schädigungs-Möglichkeiten von alten Anlagen aufgezeigt, die keinen geeigneten Fischschutz aufweisen und viele Fische in ihrer natürlichen Ausbreitung behindern oder töten können. Beide Referenten setzten sich für ein verstärktes Monitoring und Wirkungsanalysen ein. Sven Ruscher (Regierungspräsidium Kassel) erläuterte die gesetzlichen Grundlagen durch die Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und das deutsche Wasserhaushaltsgesetz, die den Fischschutz festschreiben. Dabei wies er auch auf neue technische Möglichkeiten hin, die Durchgängigkeit zu verbessern. In der Diskussion mit dem Fachpublikum wurde von verschiedenen aktuellen Projekten berichtet, in denen Fischaufstieg und –abstieg realisiert und die mit einem Monitoring begleitet werden. Diese Beispiele gilt es nun zusammenzutragen und das dabei generierte Wissen systematisch auszutauschen.
Der dritte Themenblock vertiefte neue technische Entwicklungen in der Wasserkraftnutzung. Dr. Roland Steinhoff (Steinhoff Energieanlagen GmbH, Weilrod) stellte horizontale Rechensysteme zum Fischschutz kombiniert mit Lockströmen sowie Borstenpässe vor, die von Fischen wie von Kanuten gleichzeitig genutzt werden können. Ein wichtiger Aspekt z.B. für den Wassertourismus an der Lahn. Bewegliche Krafthäuser, die auch für kleinere Fließgewässer geeignet sind oder das Beispiel der Wasserkraftschnecken hinter Kläranlagen machten deutlich, dass in diesem Gebiet noch Innovationspotenzial steckt. Christian Hanne (Stromboje Mittelrhein UG) präsentierte ein Strombojen-Konzept, das bereits in der Donau erfolgreich umgesetzt wurde. Strombojen benötigen allerdings eine Wassertiefe von etwa 3 Metern und hohe Fließgeschwindigkeiten, was ihren potenziellen Einsatz in Hessen auf den Rhein beschränkt. Abschließend stellte Stephan Schumm (Wasserkraftanlage Hoppe-Schumm, Hadamar) vor, wie alte Mühlenstandorte saniert und zur Stromgewinnung genutzt werden können. Die Diskussion verdeutlichte, dass auch bei der Kleinwasserkraft oft unbeachtete energetische Potenziale genutzt werden könnten und dabei bestehende Querbauwerke im Gewässer erstmals für eine Durchgängigkeit nachgerüstet werden.
In der Abschlussdiskussion erweiterten Barbara Siegert (Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) und Stefan Prott (Büro für Wasserkraft NRW) den Expertenkreis. Einigkeit bestand darüber, dass der mögliche Ausbau der Wasserkraft und die nötige Modernisierung von Altanlagen im Einklang mit den ökologischen Erfordernissen erfolgen muss. Wichtig sei die Auswahl geeigneter Anlagentypen für den speziellen Standort wie auch die systematische Bündelung von Monitoring-Ergebnissen zur Wirksamkeit von Fischschutzmaßnahmen. Auch weitere Forschungsprojekte wie z.B. zum Fischabstieg bei großen Anlagen könnten zur Klärung der Sachlage beitragen und so die Wogen in der Diskussion um die Wasserkraft in Hessen glätten.
Die gemeinsame Exkursion des örtlichen Wasserkraftwerks Haag (www.kraftwerk-haag.de) bildete einen gelungenen Abschluss dieses Faktenchecks.
Die Vorträge der Expertinnen und Experten sowie das konsolidierte Faktenpapier finden Sie rechts zum Download.